Uwe, Lothar und die Apfelsinen

Ich war noch ein kleiner Furz, als mir das erste Mal das Tor zur weiten Fuballwelt geffnet wurde. Dritte Klasse, Grundschule Garen, ein 2000-Seelen-Ort gleich neben meinem 300-Seelen-rtchen Bostel, Kreis Celle. Der Nachbarort war schon Mega-City, voller Gefahren und einer Sonderschule mit fiesen Sonderschlern darin. Als ich einmal verga auf dem Nachhauseweg an der richtigen

Ich war noch ein kleiner Furz, als mir das erste Mal das Tor zur weiten Fuß­ball­welt geöffnet wurde. Dritte Klasse, Grund­schule Garßen, ein 2000-Seelen-Ort gleich neben meinem 300-Seelen-Ört­chen Bostel, Kreis Celle. Der Nach­barort war schon Mega-City, voller Gefahren und einer Son­der­schule mit fiesen Son­der­schü­lern darin. Als ich einmal vergaß auf dem Nach­hau­seweg an der rich­tigen Bus­hal­te­stelle aus­zu­steigen (es reg­nete), heulte ich mir die Augen in der festen Über­zeu­gung wund, dass ich nun nie wieder nach Hause finden würde. Ein Dorf­junge, ganz klar. Mai­land oder Madrid? Ich wusste nicht mal genau, was Ita­lien war. Bis Uns Uwe“ kam.

»> Mein Lieb­lings­trikot #8 – in der Bil­der­ga­lerie!

In unserer Gegend war damals (und ist noch heute) der Bücherbus eine feste Insti­tu­tion. Ein umge­bauter Lini­enbus, voll­ge­stopft mit Büchern jeg­li­cher Art. Wenn der Bücherbus an der ent­spre­chenden Bücherbus-Bus­hal­te­stelle im Dorf hielt, war das ein Pflicht­be­such. Und weil die Macher des Bücher­busses nicht müde wurden, für Bücher im All­ge­meinen und ihren Bus im Spe­zi­ellen zu werben, tauchte der Bus eines Tages auch in unserer Grund­schule auf, entlud einen Teil seines Inhaltes auf diesen kleinen grün lackierten Grund­schul­ti­schen und brauste von dannen. Jeder sucht sich ein Buch aus“, war die Order. Also suchte ich.

Wer war Uwe Seeler?

Etliche stink­lang­wei­lige, aber grell­bunte Kin­der­bü­cher (und solche, die sich knall­frech mit diesem Namen schmückten) rutschten mir durch die Finger, ehe ich einen dun­kel­blaues Buch mit einem waa­ge­recht in der Luft lie­genden Fuß­baller ent­deckte. Uwe Seeler – Alle meine Tore“. Wer war Uwe Seeler? Egal, Fuß­ball, Tore, ich war dabei. Wäre da nicht Hans-Peter gewesen, ein Grund­schüler von beein­dru­ckender Statur und Händen wie Bag­ger­schau­feln. Dumm für mich: Er hatte auch noch schnelle Schau­feln und griff zu. Gut für mich: Nach inten­siver Betrach­tung des leicht ange­faulten Buch­de­ckels, legte er Uns Uwe schnau­bend zurück auf den Stapel. Drei, zwei, eins – meins.

So müssen sich Drogen-Jun­kies nach dem ersten Schuss fühlen, wie ich nach den ersten Seiten von Alle meine Tore“. Ein Fuß­baller, von dem weder ich noch meine Bolz­platz­kum­pels je etwas gehört hatten, wurde zu meinem erklärten Idol. Ich wollte sein wie Uwe, wollte auch mit dem Fahrrad 20 Kilo­meter zum Trai­nings­platz am Och­sen­zoll fahren, wollte ein Mäd­chen kennen lernen, dass Ilka hieß, einen Hoch­zeits­ku­chen aus Mar­zipan in Form eines Leder­balles geba­cken bekommen – ja, nachdem ich das Buch zum fünften Mal durch­ge­lesen hatte, erhoffte ich mir gar einen Achil­les­seh­nen­riss, wie ihn Uwe erlitten hatte! Nach der zehnten Lek­türe rief meine besorgte Mutter bei meiner Leh­rerin an und fragte vor­sichtig nach, ob ihr Sohn das Buch nicht behalten könne – es ihm wieder weg­zu­nehmen wäre wohl Kin­der­quä­lerei gewesen. Ich durfte. Und las weiter.

Inter war nicht Inter. Inter war Inter­na­zio­nale“

Ich las von Uwe und seinem Vater Erwin, seinem Bruder Dieter und seiner Mutter mit dem Koch­löffel. Ich las von Klaus Stürmer und Bock­wurst­wett­essen in Ham­burger Kneipen, las von dra­ma­ti­schen Abenden mit Schwarz­wälder Kirsch und Toren gegen Bremen, Olden­burg, Dort­mund und Burnley. Und ich las von Inter Mai­land, von Uwe (oder seinem Ghost­writer) beharr­lich Inter­na­zio­nale Mai­land“ genannt.

Laut Uwe eine Bom­ben­truppe“, ein Verein, so viel größer als der SV Garßen, TuS Celle und der Ham­burger SV, dass ich mir schon in diversen Tag­träumen aus­malen musste, welch gigan­ti­sche Reich­weite dieser Klub wohl besäße. Inter­na­zio­nale“ klang nicht nur nach Spiel, Spaß und Aben­teuer, es hielt scheinbar auch, was es ver­sprach. Als ich das erste Mal stau­nend von der 1 Mil­lion D‑Mark“ las, die die Men­schen von Inter­na­zio­nale“ in einem Koffer (einem Koffer!) mit nach Ham­burg gebracht hatten, um sich dafür Uwe ein­zu­kaufen, braucht es schon die geballte Vor­stel­lungs­kraft eines Dritt­kläss­lers, um mir aus­zu­malen wie viel Geld das wirk­lich war. Inter­na­zio­nale“, das war das Ver­spre­chen auf ein mir völlig fremdes Uni­versum, ein Ort der fuß­bal­le­ri­schen Größe und Poesie, ein Hort der Rei­chen und Schönen und alle spielten sie Fuß­ball von einem anderen Stern. Ganz klar: Für mich war Inter Mai­land damals der beste Klub der Welt!

Mein Hei­ligtum – seine Bio­grafie

Ich wurde älter. Ich wurde klüger. Ich wusste inzwi­schen, wer oder was Ita­lien war. Ich machte mir vor Angst nicht mehr in die Hose, wenn der Bus vergaß, mich in meinem Hei­mat­dorf raus­zu­lassen – son­dern erst eine Sta­tion später. Vieles änderte sich. Aber Uwe Seeler blieb ich treu. Mit meinem Vater besuchte ich gar ein Bene­fiz­spiel der Uwe-Seeler-Tra­di­ti­ons­mann­schaft“ in einem nahen Kaff namens Mei­ßen­dorf und war­tete eine Stunde im Regen vor der Mei­ßen­dorfer Turn­halle, ehe mir ein alter kleiner Mann, den mein Vater schließ­lich als Uwe Seeler iden­ti­fi­zierte, ein Auto­gramm in mein Hei­ligtum – seine Bio­grafie – drückte.

Noch später – ich war noch älter – erreichte mein fuß­bal­le­ri­scher Hori­zont die Serie A. Damals, Anfang der Neun­ziger, die defi­nitiv beste Liga der Welt. Und weil Inter Mai­land den damals defi­nitiv besten Fuß­baller der Welt – Lothar Mat­thäus – in seinen Reihen hatte, war Inter­na­zio­nale“, klar, auch die beste Mann­schaft der Welt. Und erst­mals sah ich das Trikot dieser Mör­der­truppe. Schwarze und blaue Streifen, ein biss­chen Wer­bung in der Mitte, das wars. Sen­sa­tio­nell. Diese schlichte Farb­kom­bi­na­tion bestä­tigte all meine, in den Jahren zuvor zusammen geträumten, Vor­stel­lungen von Ruhm und Größe dieses Ver­eins. Das hat sich bis heute eigent­lich nicht geän­dert. Inter ist für mich noch immer Inter­na­zio­nale“, immer noch der Verein, der einst 1 Mil­lion D‑Mark“ in einem Koffer nach Ham­burg schleppte, um dafür (letzt­lich ver­geb­lich) Uwe Seeler zu kaufen wie ein Netz Apfel­sinen.

Und neu­lich habe ich mir eines dieser alten Misura“-Trikots auf dem Floh­markt gekauft. Schwarz und blau. Es passt wie ange­gossen. Natür­lich.

»> Mein Lieb­lings­trikot #8 – in der Bil­der­ga­lerie!

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWelrLJuuM6tn5qqXaq7pXnDopxmmaCbsq2%2FyKecp2dkZoB0g5E%3D

 Share!