Die Wunde der Nation - Norbert Siegmann und die 11FREUNDE

Der zweite Spieltag in der Bundesliga-Saison 1981/82. Werder Bremen, der souverne Zweitliga-Aufsteiger der vergangenen Saison, empfngt die Armininen aus Bielefeld zum ersten Heimspiel nach einem Jahr Zwangspause in der deutschen Eliteklasse. Die Norddeutschen gewinnen unter ihrem neuen Trainer Otto Rehhagel auch dieses Spiel, das einzige Tor gegen Bielefeld erzielt der 22-jhrige Norbert Meier in der

Der zweite Spieltag in der Bun­des­liga-Saison 1981/82. Werder Bremen, der sou­ve­räne Zweit­liga-Auf­steiger der ver­gan­genen Saison, emp­fängt die Armi­ninen aus Bie­le­feld zum ersten Heim­spiel nach einem Jahr Zwangs­pause in der deut­schen Eli­te­klasse. Die Nord­deut­schen gewinnen unter ihrem neuen Trainer Otto Reh­hagel auch dieses Spiel, das ein­zige Tor gegen Bie­le­feld erzielt der 22-jäh­rige Nor­bert Meier in der 54. Minute. Doch das Ergebnis ist nach dem Spiel am 14. August 1981 reine Neben­sache. Die deut­sche Fuß­ball-Öffent­lich­keit wird spä­tes­tens am nächsten Tag ent­setzt sein: Die Zei­tungen zeigen ein Foto, dass heute in keiner Fuß­ball-Fibel fehlen darf.

Ewald Lienen, seine langen Haare wild zer­zaust, liegt schreiend auf dem Rasen, eine fast 25 Zen­ti­meter lange Wunde klafft an seinem rechten Ober­schenkel, die Haut ist auf­ge­rissen – weiße Mus­kel­fa­sern sind zu erkennen. Was war nur pas­siert?

In der 14. Minute ver­sucht Lienen auf der linken Seite in den Straf­raum ein­zu­dringen. Von rechts erscheint plötz­lich Sieg­mann, der zu einer fron­talen Grät­sche ansetzt. Dann bin ich raus gerannt und habe vor ihm ange­halten“, stellt Sieg­mann die Situa­tion später nach. Wenn ich ihn absicht­lich hätte foulen wollen, dann hätte ich gewiss nicht ange­halten.“ Sieg­mann trennt seinen Kon­tra­henten vom Ball, läuft ein paar Schritte und spielt einen schnellen Flach­pass über die Mit­tel­linie. Ewald Lienen liegt der­weil schreiend auf dem Boden, das Spiel wurde vom Schieds­richter wegen Foul­s­spiels unter­bro­chen. Sieg­mann dürfte der erste Akteur gewesen sein, der Lie­nens auf­ge­ris­senen Ober­schenkel ent­deckt. Er hebt die Arme, ver­sucht eine ent­schul­di­gende Geste, wäh­rend er die gelbe Karte sieht. Lienen schreit ihn an, dann den Schieds­richter, der die Wunde erst gar nicht bemerkte. Der Bie­le­felder springt pötz­lich auf und hat nur ein Ziel: Otto Reh­hagel, der die Szene auf der breiten Lauf­bahn im Weser­sta­dion beob­achtet hat. Durch meh­rere Betreuer wühlt sich der ange­schla­gene Mit­tel­feld­mann durch, zeigt mit dem aus­ge­streckten Zei­ge­finger auf den Bremer Trainer und beschul­digt ihn wüst, Sieg­mann auf ihn gehetzt zu haben. Pack ihn dir“, soll Reh­hagel seinem robusten Abwehr­spieler zuge­rufen haben.

Meine Güte, ich habe immer 1000 Pro­zent gegeben, ich wollte gewinnen. Die Bie­le­felder haben in dem Spiel rein­ge­hauen wie die Kes­sel­fli­cker. Und irgend­wann hat der Otto gesagt: ›Haut auch mal rein!‹ Aber das war wirk­lich keine Absicht von mir“, sagt Sieg­mann. Erst Minuten später geht das Spiel weiter, Ewald Lienen muss durch Bernd Krum­bein ersetzt werden, der zu einem seiner ins­ge­samt 18 Erst­li­ga­ein­sätze kommt. Auf dem Weg ins Kran­ken­haus erfährt Lienen von der Nie­der­lage, seine Gemüts­lage beru­higt das nicht. Später reicht er Klage gegen Reh­hagel und Sieg­mann ein, doch den Zivil­pro­zess ver­liert der heu­tige Fuß­ball­trainer.

Nor­bert Sieg­mann, den sie in Bremen eigent­lich ob seiner fris­ur­tech­ni­schen Ähn­lich­keit zum bra­si­lia­ni­schen Regis­seur nur Zico“ rufen, ist nach dem 14. August 1981 der Buh­mann der Liga. Fortan ist er der Schlitzer“ und gilt als klas­si­sches Klopper-Pro­dukt des eisen­harten 80er-Jahre-Fuß­balls. Für Sieg­mann ein Image, das seiner Spiel­weise nicht gerecht wurde: Ich war gebrand­markt als der Ober-Treter. Obwohl ich in meiner ganzen Bun­des­liga-Kar­riere keine ein­zige Rote Karte gesehen habe.“

Lienen und Sieg­mann spre­chen erst Jahre später über diesen Vor­fall, der Bremer will über den 14. August 1981 sogar ein Buch schreiben, bis­lang ist jeder Ver­such geschei­tert. 1986 beendet Sieg­mann seine Kar­riere – ver­let­zungs­be­dingt. Die großen Erfolge der Bremer unter Otto Reh­hagel bekommt Zico“ nicht mehr mit. Später lie­fert er semi-inter­es­santen Stoff für den Bou­le­vard: Zehn Jahre lang zieht er durch Japan, Mexiko, Bra­si­lien, Hong­kong und die Phil­ip­pinen, besucht dabei das berühmte Yoga-Zen­trum Rishi­kesh und kehrt als Bud­dhist nach Deutsch­land zurück. Zur neuen Saison hat ihn der Kreis­li­gist SV Weser Bremen nun als neuen Trainer vor­ge­stellt.

Ewald Lie­nens Wunde ist längst ver­heilt, den Zustand seiner Narbe kennen nur Insider. Seinen nackten Ober­schenkel zeigt der akri­bi­sche Fuß­ball­lehrer nur noch äußerst selten.

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